Sie können auch eine Reise machen und dann nicht das erleben, wofür Sie gekommen sind.
Ich hatte mir vorgestellt, heute in ein solches Yi-Dörfchen zu spazieren. Die hohen Holzhäuser mit Veranden. Kichernde Kinder mit niedlichen bestickten Mütze standen bereits wie in einem Gemälde vor mir bereit, um vom heldenhaften Ausländer, der als einer der ersten diesen auserwählten Ort besucht, fotografiert zu werden und plötzlich verspricht, Geld für den Bau einer ersten Grundschule zu sammeln. Die Wahrheit ist, dass ich kein einziges Yi-Dorf gesehen habe. Nun gut, eines vielleicht.
Zwei Frauen mit Rattankörben auf dem Rücken schütteln den Kopf. ‘Nein, Yi-Dörfer sind hier ein bisschen weit weg.’ Sie zeigen vage in die Hügel. Dort irgendwo, aber das ist ein ganz schön weiter Weg.’ Was ist denn das nächstgelegene Dorf, versuche ich zu fragen. Und dann geht ein Licht auf. ‘Bayi, hier ein Stück weiter ist Yi.’ Ein sehr hübsches Dorf, gerade vollständig renoviert mit Blick auf die Tradition, sagen die beiden begeisterten Frauen. Wir fahren schnell vorbei. Die weißen Häuser sehen wir schon von weitem. Das Dörfchen Bayi liegt an der asphaltierten Straße. Ein neues Dorf. Ordentlich stehen die weißen Steinhäuser nebeneinander. Mit einem Zementweg vor der Tür. Ideal für die Bewohner, denn diese Häuser sind ein großer Fortschritt. Die Häuser sind einfach zu pflegen und stabil. Es wurde sogar an Holzstützen gedacht, die das Dach tragen und in tropfenförmiger Weise nach unten zu fallen scheinen. Ich unterdrücke ein Gefühl der Enttäuschung. Ich sollte eigentlich froh sein, dass die Yi Geld von der lokalen Regierung bekommen haben, um diese schönen Häuser zu bauen. Alle Dachstützen sind ordentlich in Rot, Grün und Gelb gestrichen.
Ein alter Mann sitzt in einem Türrahmen am Rand unserer Straße und raucht eine Pfeife. Bayi, auf der anderen Straßenseite, scheint ansonsten so gut wie ausgestorben. Auf meine Frage, ob er Yi ist, schüttelt er verneinend den Kopf. ‘Nein, ich bin Han. Hier gegenüber wohnt Yi’, und er nickt zu der weißen Reihe von modernen Häusern. ‘Können Sie mir sagen, was die Farben der Dachstützen bedeuten?’ Er zuckt mit den Schultern und raucht ruhig weiter an seiner Pfeife. In Bayi ist kein Mensch zu sehen. Alle sind auf dem Feld, um Reis oder Kartoffeln zu pflanzen. Keine Yi in Sicht. Dafür müsste ich stundenlang in die Berge wandern oder das Auto rumpelnd den Berg hinauffahren. Und das passt leider nicht in meinen Zeitplan. Ich muss hier ein anderes Mal länger zurückkommen.
Der nächste Programmpunkt sind die hängenden Totenboxen des alten Bo-Volkes. Das schien mir auf dem Papier ein spannendes Thema zu sein, reif für eine nähere Untersuchung. Nebenbei würde ich heute auch einen Besuch in Zuhai, oder Bamboozee, abstatten. Der Name spricht für sich.
Diese beiden Sehenswürdigkeiten befinden sich in der Nähe von Yibin und mit dem derzeit verbesserten Straßennetz sollte das ein Klacks sein. Leider fehlt die Autobahn nach Luobiao, dem Dorf, wo hölzerne Totenboxen aus dem Jahr 1470 immer noch auf hölzernen Pfählen balancieren, die auf geheimnisvolle Weise hoch in eine steile Felswand eingeschlagen sind. Im Austausch für eine Autobahn bekommen wir einen buckeligen Straßenbelag, auf dem wir ihn uns den ganzen Tag wunderbar durchmassieren lassen können. Am Ende des Tages kommen wir in Luobiao an, wo die Totenboxen tatsächlich dort hängen, wie auf dem Bild. Vielleicht eine schöne Sehenswürdigkeit für Touristen, wenn man irgendwann daran denkt, den Weg dorthin zu asphaltieren. Jetzt ist es eine Tantalusqual. Den Bamboozee habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Das wäre noch stundenlanges Hoppeln zurück gewesen. Morgen wartet im Nordosten von Yunnan mein nächster Fahrer. Ich muss weiter.
Mein Fahrer ist übrigens ein netter Kerl. Er hat noch kein Wort mit mir gesprochen, aber das wird wohl beim Abschied kommen. Wie er so gemütlich dick mit dem wunderbar runden Babyspeck-Gesicht ist, ist mir ein Rätsel. Er isst absolut nichts. Er ist Muslim, sagt Zhang Bo. Er gehört zur chinesischen Hui-Minderheit. Hui ist der chinesische Begriff für alle chinesischen Muslime, die nicht in die Kategorie der islamischen Uiguren, Kasachen, Salar, Tadschiken und Kirgisen fallen. ‘Er ist sehr rein’, fährt Zhang Bo fort und erklärt das Nichtessen des Fahrers. ‘Er isst halal.’ Auf Chinesisch heißt das qing zhen. Und da es in diesem Teil von Sichuan kein qing zhen-Restaurant gibt, ist seine Ration auf trockene Maria-Kekse beschränkt. Und eine Schokolade aus Holland. Zhang Bo sagt, dass er schlecht geschlafen hat. Ich fange gleich mit der Karaoke-Bar an, aber er bezog sich auf den Fahrer. Der scheint abends in seinem Hotelzimmer sein eigenes qing zhen-Gericht aufzuwärmen. Chinesen mit reinen Essprinzipien gibt es tatsächlich. Der Beweis sitzt also in meinem Auto. Obwohl ich noch einige Fragezeichen bezüglich seiner Statur habe, gibt es mir ein gutes Gefühl. Chinesen sind bei weitem nicht über einen Kamm zu scheren, denke ich mir fröhlich und lehne mich zufrieden zurück. Ein muslimischer Fahrer ist ideal. Er trinkt natürlich auch nicht.
‘Sag mal’, beginnt Zhang Bo. ‘Trinkst du Alkohol?’ ‘Ja’, bestätige ich, ‘ich mag Wein und in China trinke ich gerne ein Bier zum Essen’. ‘Und Bai Jiu’ (chinesischer Reisgeist, mindestens 50 %), fragt Zhang Bo. ‘Nein, das gieße ich lieber bei den Pflanzen weg’, seufze ich. ‘Oh’, sagt Zhang Bo. ‘Ich auch. Aber die hier’, und er patscht freundlich auf seinen gemütlichen Bauch, ‘kann gut 5 Jin trinken!’